Читать книгу Das Tagebuch der Jenna Blue онлайн | страница 20

Ich bin versucht, sie darauf hinzuweisen, dass die Geschichte anders geht; doch wer wäre ich, sie dafür zu tadeln? Neige nicht auch ich dazu, die Welt und die Geschichten um mich herum so zu interpretieren, dass sie in meine Perspektive passen?

»Ich verstehe den Gedanken dahinter«, fährt Scarlett fort, den Blick auf das Spukhaus jenseits unseres Gartens gerichtet. »Die Zeit lässt alles verkommen. Blumen welken, Schönheit vergeht, selbst Zuneigung schwindet. Wie viel tröstlicher ist da der Anblick eines auf ewig gebannten Glücksmoments? Der Falter in seiner ganzen Pracht, die Tochter in der Blüte ihrer Jugend. Wie eine Fotografie, die niemals vergilbt. Eine Erinnerung, unangetastet durch die Zerstörung der fortschreitenden Realität.«

Unwillkürlich denke ich an die Bücher, die sich in Scarletts Zimmer türmen, uralte Wälzer mit abgegriffenen Umschlägen und verblichenen Lettern. Sie hortet sie nicht aufgrund ihrer Geschichten, sondern wegen dem, was zwischen den Seiten steckt. Getrocknete Blüten, brüchiges Weidenlaub und pastellgelber Löwenzahn, Vergissmeinnichtstängel und Rosenknospen. Scarlett sammelt Blüten. Sie bricht, trocknet und presst sie. Sie besitzt ganze Alben voll davon, sicher verwahrt vor dem Zerfall.

»Fürchtest du den Tod?«, frage ich in die Stille.

»Ich fürchte das Danach.« Eine Antwort, wie sie nur Scarlett geben kann. »Unsere Körper zergehen, zerfallen, zersetzen sich. Doch was dann? Sind wir dann fort oder existieren wir weiter? Womöglich durch Blumen, die sich von uns nähren; doch was, wenn auch sie vergehen? Was bleibt dann noch?«

»Honig«, rate ich.

Scarlett sieht mich lange an, dann schlägt sie die Beine auf eine Art übereinander, die mich vermuten lässt, dass sie weit öfter hier oben sitzt und über das Leben nach dem Tod sinniert; mir wird allein vom Zusehen schlecht. Wie wir es als Kinder aushielten, auf den Schindeln Fangen zu spielen, ist mir ein Rätsel. Nicht dass ich die Höhe fürchten gelernt hätte, es ist mehr das Bewusstsein darüber, was ein Sturz alles anrichten kann. Kein Kind denkt darüber nach, das Leben ist ein Abenteuer und der Himmel zum Greifen nah.


Представленный фрагмент книги размещен по согласованию с распространителем легального контента ООО "ЛитРес" (не более 15% исходного текста). Если вы считаете, что размещение материала нарушает ваши или чьи-либо права, то сообщите нам об этом.