Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 43

Alle Protagonistinnen der Romane geraten mittelbar über ästhetische Erfahrungen (der Wirklichkeit, der Sprache, Musik oder Literatur) oder ihren Ausreisewunsch in das Visier der Securitate und leiden darunter, dass ihre Wohnungen in ihrer Abwesenheit durchsucht (»Der Fuchs …«), ihre Freunde überwacht und befragt (»Herztier«) oder sie selbst zu Verhören einbestellt werden (»Heute wär ich mir …«). In ihrer Einschüchterung und Angst, die sie misstrauisch machen und isolieren, wähnen sie sich zeitweise im Einklang mit wenigen gleichaltrigen Freunden, Geliebten oder Vertrauenspersonen, die dann entweder durch Mord, Selbstmord oder ungeklärte Unfälle zu Tode kommen oder, schlimmer, durch Verrat die Freundschaften und Liebesbeziehungen unterminieren, das Vertrauen vergiften und die Erzählerinnen auf sich selbst zurückwerfen beziehungsweise drohen, sie an sich irre werden zu lassen – »ha, ha, nicht irr werden«,ssss1 sind die letzten Worte der Ich-Erzählerin am Ende von »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet«, nachdem sie Zeichen entdeckt hat, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass ihr Mann Paul sie an die Securitate verraten hat. Die kaum mehr mögliche Hoffnung, dass es sich um einen Irrtum oder eine Fehlwahrnehmung handeln könnte, wäre nur um den Preis möglich, das Vertrauen in die eigene Weltwahrnehmung zu verlieren und sich Paranoia zu attestieren, sodass Ich-Verlust und Liebesverrat für die Protagonistin zynische, weil gleichermaßen selbstzerstörerische Alternativen darstellen. Der Verrat kennt nur Opfer und der/die Verratene verliert mehr als nur den Geliebten oder die Freundin.

Die makaber zerstörerischen Gefühlsverwirrungen, die mit dieser Grunderfahrung einhergehen, illustriert der Roman »Herztier«, wenn er Verrat und Tod gleichsam miteinander um die Schmerz-Dominanz konkurrieren lässt: Der Roman präludiert schon im vorangestellten Gedicht des rumänischen Surrealisten Gellu Naum das Thema Freundschaft und führt dann vor, dass menschliche Zuwendung und loyale Verbundenheit als ›unseriöser‹ emotionaler Luxus und gefährliche Selbsttäuschung gelten müssen in einer Welt, die den Einzelnen isoliert und Vertrauen zu einem Überlebensrisiko macht: »jeder hatte einen Freund in jedem Stückchen Wolke / so ist das halt mit Freunden wo die Welt voll Schrecken ist / auch meine Mutter sagte das ist ganz normal / Freunde kommen nicht in Frage / denk an seriöse Dinge«.ssss1


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