Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 41

Die Mehrdeutigkeit der zuweilen surreal anmutenden Sprache und der ihr innewohnenden kreativen Fantasie kennzeichnet, bedingt durch die Wahl von Ich-Erzählerinnen (»Herztier«, »Heute wär ich mir …«) beziehungsweise personale Erzählweise (»Der Fuchs …«), die Poetik der Romane ebenso wie ihre Hauptfiguren, in allen drei Fällen Frauen um die 30: die Lehrerin Adina (»Der Fuchs …«), eine Studentin und spätere Übersetzerin in einer Fabrik (»Herztier«) sowie eine Arbeiterin in einer Konservenfabrik (»Heute wär ich mir …«). Ihr Erlebensmodus, das Bildreservoir ihrer Beschreibungen und die poetischen Funktionsweisen ihrer Realitätsverarbeitung verweisen, unabhängig von Herkunft, Bildungsgrad und Beruf der Figuren, auf eine ähnliche Fantasiebegabung. Das erklärt sich nicht allein mit dem politisch regulierten Zugang zu Studium oder Lektüre, der über Bildungsbiografien und akademische Chancen entschied, sondern mehr noch über zwei andere Implikationen: zum einen die Bildmacht der rumänischen Sprache, die das Deutsch der rumäniendeutschen Figuren umgibt und grundiert und sich auch in Redewendungen, Märchen und Sagen der Banater Dorfbevölkerung niederschlägt; zum anderen in der identitätsstiftenden und -bewahrenden Macht, die Müller der Fantasie und dem durch sie geprägten, die Objekt-Welt beseelenden Blick zusprichtssss1 und die sie als eine der frühesten eigenen Kindheitserfahrungen schildert.ssss1

Alle Protagonistinnen stehen am Anfang ihrer Berufsbiografie; sie verbindet die oft dörfliche oder kleinstädtische Herkunft mit dem Leben in größeren Städten, das Ausbruch aus der Enge, Freiheit, Urbanität und Aufbruch in ein eigenes Erwachsenenleben jenseits der familiären Herkunft assoziiert. Dieses erweist sich aber bald, in den Institutionen der Ausbildung, in Schule, Universität, im Arbeitsleben von Fabriken und Büros sowie im öffentlichem Leben, als ebenso von der Mangelwirtschaft gekennzeichnet wie das Landleben; zudem ist es noch vielfältiger und engmaschiger kontrolliert, die staatliche Repression in Propaganda, Beobachtung, Wohnungsüberwachung, Verhören und Verhaftungen allpräsent. Die Jugend der Protagonistinnen verstärkt diesen Befund, weil er – angesichts ihrer Erwartungen – nicht nur als Gegenwartsdiagnose in Erscheinung tritt, sondern auch die Zukunft des Landes zu bestimmen scheint, wie es der Lehrerin Adina etwa an den Erziehungsmethoden und am Anpassungsdruck im staatlichen Schulsystem beim Blick auf die Schüler vor Augen steht: »Im Gesicht des Kindes stand ein Alter, das die Kinderstimme nicht ertrug. Das Gesicht des Kindes roch nach abgestandenem Obst. / Es war der Geruch alter Frauen (…). / Als das Kind zwischen den anderen Kindern im Schulhof stand, war der Fleck an seiner Wange der Griff der Einsamkeit. Er dehnte sich aus, denn über die Pappeln fiel schiefes Licht.«ssss1


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