Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 45

Die Trauer um die Tote wiederum wird kontaminiert von der Enttäuschung der Erzählerin, verraten worden zu sein; die Möglichkeit sich zu distanzieren oder (mit Verachtung) abzuwenden, wird durch die endgültige Abwendung der Freundin im Tod verunmöglicht, das moralische Urteil über sie durch das Mitgefühl mit ihrem Leiden und die Trauer über ihren Verlust durchsetzt. Insofern wirkt der Verrat zerstörerischer als der Tod, weil er nicht nur Verlust bedeutet, sondern nachträglich auch die Integrität der Freundin, die Freundschaft als Wert und die Urteilsfähigkeit der Verratenen infrage stellt oder auslöscht, und so sogar die Pietät der Trauer vergiftet.

Auch andere Konstellationen von Verrat durch Geliebte, Ehepartner und Freunde insistieren auf der Ambivalenz, einerseits als Verunsicherung, wem zu trauen ist und wie die Wirklichkeit zu verstehen ist. Diese hat, unter den Vorzeichen der Diktatur, längst die Unschuld des reinen und kontingenten So-Seins verloren und ist, als Zivilisation wie als Natur, nur noch als Zeichensystem zu deuten; wer in ihr überleben will, muss in ständiger Wachsamkeit Pappeln (in »Der Fuchs …«) ebenso ›lesen‹ wie Blicke und Spuren fremden Eindringens in die eigene Wohnung. Insofern kennzeichnet Ambivalenz nicht nur die Außenwelt respektive deren Wahrnehmung, sondern andererseits auch die Individuen und deren Fähigkeit zu vertrauen. Freundschaft wie Vertrauen erscheinen angesichts der Erfahrungen eher eine Gunst auf Zeit als eine verlässliche Zukunftsperspektive. Das betrifft nicht nur die Freunde, Liebhaber oder Ehepartner, sondern zentral die Erzählerinnen selbst, deren Fähigkeit zu vertrauen grundsätzlich unterminiert wird. Wie gefeit sie ihrerseits davor sind, Verrat zu begehen, ist eine in der Narration stetig mitlaufende Frage, und der vermutlich aus einem abgewandelten Sprichwort entstandene Romantitel »Der Fuchs war damals schon der Jäger« zitiert nicht nur die Doppelgesichtigkeit von (vermeintlicher) Beute und Jäger, sondern verweist auch auf Tradition oder Naturgesetzlichkeit dieses Umstands und die Dauer der Täuschung. Alle Ceauşescu-Romane thematisieren die Täuschung und die Gefahr des Verrats so latent implizit wie strukturell omnipräsent: In »Der Fuchs …« wird ein Fuchsfell in der Wohnung der Erzählerin in ihrer Abwesenheit immer weiter zerschnitten, um sie einzuschüchtern; in »Herztier« illustrieren die Lebenswege der vier Hauptfiguren, die durch die gemeinsame Lektüre des Tagebuchs einer Selbstmörderin in ihrer Haltung gegenüber dem Staat verbunden sind, die zerstörerische Macht der Securitate für die Biografie der Einzelnen und für den Bestand der Freundschaft. Selbst das vermeintlich gute Ende für die Protagonistin und den Freund Edgar steht wie ihr weiteres Leben und das Zeugnis,ssss1 das sie (auch mit dem Roman) ablegen, unter dem Zeichen der ›Überlebensschuld‹: »Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm (…), wenn wir reden, werden wir lächerlich.«ssss1 In »Heute wär ich mir lieber nicht begegnet« schließlich strukturiert die Straßenbahnfahrt der Hauptfigur zu ihren Verhören durch die Securitate den Roman und bringt die Erzählerin, unterbrochen von Erinnerungen und Reflexionen, der Gefahr des Verhörs und der Gefahr, im Verhör (sich) selbst zu verraten, beständig näher. Das scheint deshalb wichtig zu betonen, um den epischen Zug der Texte, ihre auf ›Was-Spannung‹ angelegte Handlung, die Welthaltigkeit transportiert und auch rein stofflich interessierte Leser*innen anspricht, hervorzuheben, obgleich in Rezeption und Forschung häufig das Bildmächtige, Poetische, oft Surreale der Metaphorik und die nahezu traumlogikhaften Handlungsabläufe betont werden.


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