Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 34

Zunächst erfolgt die angsteinflößende Augmentation eines Punktes, der wie ein verstecktes Beobachterauge oder wie eine Kamera innerhalb des Fernsehers wirkt. Die Fläche des Bildschirms konvergiert mit einem imaginären Kameraauge, wobei Inge in der Spiegelung auf dem Bildschirm dasselbe sieht (oder zu sehen meint), was auch ein versteckter Beobachter – das geheime Auge der Securitate im augmentierten Punkt – beobachtet. Angst vor dem Beobachtet-Werden und Selbstermächtigung halten sich am Beginn dieser Szene, die die Ambivalenz aller Mediennutzung in einem Überwachungsstaat förmlich auf den Punkt bringt, die Waage. Im letzten oben zitierten Satz vollzieht sich aber ein re-entry der Unterscheidung zwischen Inge und dem Bildschirm auf der Seite des Bildschirms. Inge sieht dann mehr als ein verstecktes Auge aus dem Fernseher sehen und die Spiegelung des Bildschirms zeigen könnte, nämlich sich selbst wie sie auf den Bildschirm blickt, und wird damit zur höherrangigen Beobachterin, die sich selbst unter den Bedingungen eines ambivalenten mediengestützten Beobachtungsregimes sehen und hinterfragen kann. Dadurch durchbricht sie den Terror der internalisierten Überwachung und imaginiert mediale Verhältnisse, die ihr Kontrolle und Deutungsmacht gewähren. Es ist kein Zufall, dass sich Inge genau nach diesem re-entry ihrer selbst besinnt und an den rettenden Zettel mit der Selbstanweisung ›Kopfstand‹ erinnert. Sie vollzieht damit eine das geheime Auge der Securitate (sei es anwesend oder bloß imaginiert) provozierende Geste, die diese Art der Überwachung zugleich in ihren Machtansprüchen unterläuft.

»Der weiße Handschuh des Milizmanns (…) über der Stadt«ssss1 verliert mit diesem finalen Kopfstand, der abermals an »Lenz« und die Subversion einer als ›verrückt‹ empfundenen Welt erinnert, seinen Schrecken. Spiegelungen und allgemein Medialität (z. B. das Auge der Kamera) werden umcodiert vom Moment der Beschämung und Entmündigung zu einem der Selbstermächtigung: Der Teufel sitzt allenfalls in dem Sinne im Spiegel, als er den Weg zu selbstreflexivem Widerstand und Subversion weist.


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