Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 29

Diesen Zeilen würden heutige Leser in einer demokratischen Gesellschaft auf Anhieb wohl zustimmen; tatsächlich beziehen sie sich aber auf eines der zentralen Organe der Kommunistischen Partei Rumäniens, auf eine der wichtigsten publizistischen Stützen der Diktatur Ceauşescus, eine Zeitung, die dem Geheimdienst nahestand und Propaganda in dessen Sinne verbreitete. Die Zeilen vermitteln einen Eindruck davon, was Herta Müller mit der ›hölzernen Sprache‹ der Diktatur und der Komplizenschaft aller Wörter meint, auf die kein Verlass mehr ist. Will man nicht mit diesem totalitären Zugriff auf die Welt identisch sein, muss man ironisch vorgehen, die Begriffe ihren Verwendungszusammenhängen entreißen, eher subjektiv-aisthetische als rationale Pfade einschlagen, um die Absurdität dieser doppelbödigen Ordnung aufzuzeigen. Etwas anderes bleibt den Figuren, die in dieser überwachten Welt leben, auch kaum übrig, unterliegen doch jeder Begriff und jede Interaktion der Definitionsmacht des Totalitarismus.

In der »Scînteia« wird außerdem der Journalismus im Dienst des ganzen Volkes, »ohne Unterschied der Nationalität« zur »Hebung des Lebens- und Zivilisationsstandards« und zur »vielseitigen Vervollkommnung der Organisation und Leitung der Gesellschaft« gelobt; abschließend verwirft das Editorial feindliche »Denkungsarten sowie fremde Anschauungen und Einflüsse (…), Tendenzen des Parasitentums, eines Lebens ohne Arbeit« und spricht sich für »Ethik und Rechtlichkeit« aus.ssss1 Damit kristallisiert sich ein Feindbild heraus – jenes des Schmarotzers, der den Dienst an der vermeintlich intakten Solidargemeinschaft verweigert.

Just in diesem Heft der »Neuen Literatur« erscheint Herta Müllers Erzählung »Inge«, mit der Zueignung »Einem Inspektor gewidmet«. Die Hauptfigur Inge ist offenkundig arbeitslos, auf sie trifft also das im Editorial beschworene Stigma zu. Sieben weitere Erzählungen Müllers handeln von einer Figur dieses Namens, »In einem tiefen Sommer«, »Schulbankgesicht«, »Möbelstücke«, »Der Regen«, »An diesem Tag«, »Eine Arbeit« und »Es ist Sonntag«; Inge wohnt stets eine autofiktionale Funktion inne, wie Herta Müller selbst erklärte.ssss1


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