Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 31

Unübersehbar setzt sich die Erzählung mit Morddrohungen auseinander, die von Fremden wie der Frau mit den samtschwarzen Rosen auf offener Straße ausgesprochen werden, und mit der übermächtig werdenden Angst vor den Vollstreckern des sozialistischen Überwachungsstaates. Infolge der Verinnerlichung sozialistischer Normierung und ihrer Externalisierung sind diese überall anwesend – auch in der eben nur scheinbar davon unbelasteten Vegetation: »und ein Baum (…) stemmte sich durch Inge hindurch und spießte sie auf«.ssss1

Die Erzählung offenbart, dass die Hauptgestalt unterschiedlichen Gewaltstrukturen ausgesetzt ist – marschierenden Soldaten, Milizmännern, einem Beamtenapparat, dessen Allmacht willkürlich ausagiert wird, entsolidarisierten Mitmenschen und einer Amtssprache, die die Welt in diesem Geist kartiert. Der Text verhält sich zugleich aber auch widerständig gegen diese Gewalt, zum einen, indem er deren brutale Absurdität entlarvt, zum anderen, indem eine eigenlogische Wahrnehmung willkürliche Schnitte durch Bilder und Wörter vollzieht und Inges individuelle, nicht mehr im Dienst des Totalitarismus stehende Selbst- und Weltsicht zum Vorschein bringt.ssss1

Inge tritt vor einen Inspektor, dessen wirrer – und deshalb keinen Widerspruch duldender – Monolog darauf hinausläuft, dass sie entlassen wird, weil sie als studierte Lehrerin nicht als Übersetzerin in einem Maschinenbauunternehmen eingesetzt werden kann. Die Begründung ist fadenscheinig, weil das Lehramtsstudium in Rumänien nicht unüblich als Qualifikation für die Übersetzerlaufbahn war.

Herta Müller hatte selbst eine solche Arbeitsstelle infolge ihrer Weigerung, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten, verloren, und dadurch traf das Stigma der ›Asozialität‹ und des ›Parasitentums‹, das im Editorial der Zeitschrift, in der ihre Erzählung erschien, beschworen wurde, aus Sicht von Partei und Geheimdienst auf die Autorin zu. »Inge« steht in einem geradezu grotesken Verhältnis zum Editorial, denn dieses Stigma wird als Folge der Machtausübung von Partei und Geheimdienst mit ihrem Verwaltungs- und Vollstreckungsapparat entlarvt. Als missliebig empfundene Person konnte sie entlassen – da der Staat der einzige Arbeitgeber war – und sozial vernichtet werden, indem sie als unsolidarische ›Asoziale‹ gebrandmarkt wurde.


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