Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 33

Der Zeigefinger im Kopf arbeitet, so zeigt sich bereits in »Inge«, nicht nur schneller als die Schere der Zensur, sondern er modifiziert die Sinnzusammenhänge und setzt sie neu zusammen; so entfalten sie ein subversives Potenzial. Voraussetzung dafür ist, dass die Faktur totalitärer Zusammenhänge kenntlich wird: Die Figuren werden dabei vorgeführt, wie sie sich im Takt kollektiver Angst synchronisieren und Handlungsaufträge erfüllen, wie die Überbringerin der samtschwarzen Rosen, die Inge mit dem Tod bedroht: »Die Frau sagte links und tat einen Schritt, die Frau sagte rechts und tat einen zweiten Schritt. (…) Inge hörte ihre Sandalen klappern und ihre Stimme links-rechts, links-rechts, links-rechts sagen.«ssss1 Wenn wenig später Inge auf dem Weg zum Schulinspektorat ihre eigenen Schuhe im links-rechts-Takt klappern hört, wird deutlich, dass existenzielle Angst jede und jeden anfällig für Gleichschaltung macht.

Herta Müller führte in der Paderborner Poetikvorlesung »Der Teufel sitzt im Spiegel« aus, in ihrem Schreiben stets von einem »Punkt der Erfahrung, die ich jemals gemacht habe«,ssss1 auszugehen. Mit dem Punkt ist nicht ein factum brutum gemeint, sondern etwas schmerzhaft Erlebtes, das zum Exemplum erhoben wird. Von einem »kleinen brennenden Punkt«ssss1 geht auch die Figur Inge in der gleichnamigen Erzählung aus, wenn sie, nach der Begegnung mit dem Inspektor wieder zu Hause angekommen, auf den flimmernden Fernsehbildschirm starrt und einen eigenen ›Irrlauf im Kopf‹ beginnt. Sie dekonstruiert das »Panoptikum der Todesarten«,ssss1 in dem sie gefangen ist, indem sie sich selbst zur Beobachterin erhebt und eigene Bilder anstelle der vorgeschriebenen setzt – freilich ein solipsistischer Akt, aber in der Textlogik der einzig verfügbare. In einer Reihe imaginärer Mise en abymes bohrt sich ihr Blick in den Fernsehbildschirm und er-findet darin eine Situation, in der sie sich schließlich selbst beobachten und widerständig agieren kann: »Der Punkt weitete sich und wurde so groß wie der Bildschirm selbst. Inge sah auf dem Bildschirm ihr Zimmer. Inge sah Inge in Inges Zimmer auf Inges Bett liegen. Inge sah Inge auf einem Bildschirm auf einen Bildschirm schauen.«ssss1


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