Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 17

Aber Rumänien kommt ja auch gar nicht vor. Ich habe auch in meinen Romanen immer geschrieben: »das andere Land«. Die Repression ist in Diktaturen immer vergleichbar, sie mag in asiatischen oder osteuropäischen Ländern oder in muslimischen Gottesstaaten wie dem Iran stattfinden. Auch die Angst ist überall gleich. In all diesen Ländern darf nicht der Einzelne entscheiden, alles wird in der Zentrale entschieden, und wenn einer so durchgeknallt ist wie der Staatspräsident Chinas, dieser Xi Jinping, dann wehrt sich keiner, aus Angst vor Gefängnis oder Repressalien. Es sind stets dieselben Mechanismen wie eh und je. Was ich heute über China in der Zeitung lese, kenne ich, ich habe es tausendmal erlebt, und es geht immer weiter. Das ist ein Muster. Von daher ist es gut, wenn die Studenten diese Collage sehen und lesen und dann über China sprechen oder über Ungarn oder über ein anderes diktatorisches Land.

Ich würde gern auf die Form der Collagen zurückkommen. Sie haben angedeutet, dass formale Aspekte im Laufe der Jahre zunehmend wichtiger geworden seien. Bereits in »Reisende auf einem Bein« von 1989 wird das Verfahren des Collagierens beschrieben. Veröffentlicht wurden die ersten Collagen dann erstmals zwei Jahre später in den Paderborner Poetikvorlesungen »Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet«. Diese frühen Collagen, dann auch die aus der Postkartensammlung »Der Wächter nimmt seinen Kamm«, scheinen mir im Vergleich mit den neueren Collagen nicht nur optisch rauer, sondern auch textuell verschlüsselter gewesen zu sein. In dem Maße, in dem die von Ihnen eben angedeutete Formgebungsarbeit wichtiger geworden ist, scheinen die Collagen nun auch zugänglicher, Brecht hätte gesagt: kulinarischer, geworden zu sein. Dazu trägt die Verwendung von Rhythmen und Reimen ebenso bei wie die Farbgestaltung, zudem sind die collagierten Texte in gewisser Weise narrativer und verspielter geworden.

Ich glaube alles, was man lange macht, verändert sich, weil man sich selbst verändert. Früher waren die Collagen-Texte viel länger, auch habe ich winziges Material verwendet, aus Zeitschriften wie zum Beispiel »Spiegel«, »Stern« und »Focus« oder aus Tageszeitungen. Inzwischen arbeite ich mit größerem Material. In den ersten Collagen ging es auch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, sehr ungefiltert um die Diktatur. Ich habe sie damals in Rom gemacht, in der Villa Massimo, 1990, da waren die Diktaturen in Osteuropa gerade implodiert. Inzwischen habe ich zu dieser Zeit eine größere Distanz und auch andere Bedürfnisse; ich habe mich auch ein Stück weit befreit, vielleicht durch das Schreiben, vielleicht aber auch durch die veränderte historische Lage – die Diktaturen existieren eben nicht mehr. Solange sie existieren, bedrücken sie dich, einfach weil du weißt, es gibt sie noch, du bist zwar entkommen, aber du kommst von dort. Das ist anders, als wenn du weißt, Gott sei Dank, es ist vorbei. Ich glaube, danach hat mich etwas losgelassen, was mich früher nicht losgelassen hat, oder vielleicht habe auch ich etwas loslassen können. Wahrscheinlich ist es gegenseitig: Es hat mich losgelassen und ich habe es losgelassen. Dadurch wurden andere Zugänge möglich, auch eine Art von Humor. Die Collagen haben über die Jahre eine Art von Leichtigkeit gewonnen, auch wenn die vergangene Zeit noch drinsteckt. Diese Geschehnisse sind weiterhin darin vorhanden, sie werden nur anders angegangen oder sie spiegeln sich anders, weil sie sich in meinem Kopf mittlerweile anders spiegeln als damals, als ich noch mittendrin war oder als ich wusste, andere sind noch mittendrin.


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