Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 14

Das funktioniert allerdings nur, wenn man beide Sprachen gleichermaßen beherrscht.

Ja, ich kann sie vielleicht nicht gleichermaßen, aber ich kann sie. Ich könnte nicht auf Rumänisch schreiben.

Heißt das, die 2005 in dem Band »Este sau nu este Ion« erschienenen rumänischen Collagen sind übersetzt?

Nein, dieser Band enthält Collagen, für die ich das Textmaterial ausgeschnitten habe. Ich wollte zeigen, was für eine großartige Sprache das Rumänische ist, eine Sprache, in der sich viele Wörter reimen, auch die Ironie besser funktioniert als im Deutschen. Das vermeintlich Vulgäre, die Diminutive, all das hat eine ganz andere Bedeutung als im Deutschen. Es gibt unterschiedliche ästhetische Grundsätze in den beiden Sprachen. Wenn ich auf deutsch »Kaffeechen« sage, ist das ganz etwas anderes, als wenn ich im Rumänischen »cafeluța« sage. Und so ist es auch mit dem Fluchen. Weil ich von diesen Unterschieden wusste, wollte ich zumindest einmal auch Collagen mit rumänischen Texten herstellen. Zudem besaß ich viel Material. Zwei Jahre lang arbeitete ich nur mit rumänischen Zeitschriften an rumänischen Collagen, aber dann war Schluss. In irgendeiner der Schubladen hier müssen noch viele rumänische Wörter liegen, ich werfe sie nicht weg, sie bleiben hier, sie dürfen hier sein wie die deutschen Wörter auch.

Mehrsprachigkeit ist also eine Chance für Literatur?

Ich finde, Randliteraturen sind oft so interessant, weil sie in Kontakt zu anderen Sprachen und Ländern stehen. An den Rändern geht viel durcheinander, die, die an Rändern wohnen, bekommen von all dem jenseits der Grenzen etwas mit, und all dieses Andere hat natürlich seine eigene Sicht, einen eigenen Blick.

Mich würde noch ein anderer Aspekt Ihrer Sprache interessieren, nämlich das wiederholte Aufgreifen von Redewendungen.

Also, ich finde, das Schönste an der Sprache ist die Verblüffung, ist, wenn jemand ahnungslos etwas Großartiges sagt, einen Satz, der in sich viele Bedeutungen birgt. Da horche ich richtig auf. Die sagen das nicht absichtlich, sondern es ist einfach intuitiv so. Oft versteckt sich gerade auch in Redewendungen Großartiges, jede Sprache besitzt solche Fertigteile, die nicht ideologisch sind, die einfach überliefert und gebräuchlich geworden sind. Ich frage mich, wie eine Redewendung entstanden ist? Irgendwann muss sie irgendjemand zum ersten Mal gesagt haben, und ein anderer hat sie wiederholt, weil sie sich gut eignete für eine andere Situation, und nach einiger Zeit wurde aus dem Satz eine Redewendung und eine Art Parabel, die für alles mögliche gut ist. Solche Redewendungen hab ich oft zu Hause gehört, von meinen Eltern oder von meiner Großmutter. »Denk nicht dorthin, wo du nicht sollst«, zum Beispiel. Ist das nicht ein großartiger Satz? Das ist umständlich und unbeholfen, aber gerade dadurch wird der Satz so großartig und die darin ausgesprochene Warnung klingt gar nicht mehr so böse. Der Satz ist mehr als bloß eine Drohung, die Warnung schützt dich auch irgendwie, obwohl sie dir etwas verbietet. Wenn der Satz gelautet hätte, »Denk nicht das, was du nicht denken sollst«, dann wäre aus ihm sicher keine Redewendung geworden. Oder: »Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders«. Das sind Sätze, die mir in bestimmten Situationen halfen, in denen ich nicht mehr weiter wusste. Sie haben mich jedenfalls nie getäuscht. Und irgendwie haben sie mich auch behütet. Von solchen Redewendungen gibt es jede Menge, und oft hörst du sie von sogenannten ›einfachen‹ Menschen. Das ist die Poesie der Ahnungslosen. Ich finde Redewendungen auch so schön, weil die, die sie verwenden, oft nicht wissen, wie poetisch diese Sätze sind. Das ist Alltag, und das berührt mich ja. Davon kann ich als Schriftstellerin profitieren.


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