Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 13

In früheren Interviews, auch in einigen Essays, haben Sie über die Gemengelage verschiedener Sprachen, Sprachstandards und -register – Deutsch, Rumänisch, Mundart, Hochdeutsch und so weiter – gesprochen, die ihrer Literatursprache den ganz charakteristischen Ton verleiht. Ist das eigentlich auch nach der langen Zeit der Entfernung von Rumänien und aus den anderen Sprachkontexten so, dass beispielsweise das Rumänische nach wie vor im Hintergrund mitschreibt?

Ja, das Rumänische ist da, oft unterschwellig. Manchmal ist mir die andere Sprache bewusst und manchmal auch nicht. Manchmal finde ich das rumänische Bild einfach besser. Der Pfirsich beispielsweise heißt im Rumänischen die »piersică«, und dadurch hat der Pfirsich bei mir ein Samtkostüm, wegen des femininen Genus des rumänischen Pfirsichs. Ich gebe auch dem im Deutschen maskulinen Pfirsich ein Kostüm und nicht etwa einen Samtanzug, einfach weil der rumänische Pfirsich schöner ist, feminin. Sprache verändert die Ästhetik, und wenn man, bewusst oder unbewusst, in mehreren Sprachen schreibt, dann kann man gar nicht mehr von einer Ästhetik sprechen, man muss das Wort in den Plural setzen, Ästhetiken oder so. Die Worte in einer bestimmten Sprache haben ja einen eigenen, ihren eigenen Blick und ihre eigene Befindlichkeit in jeder Sprache. Und oft ist mir die Befindlichkeit des rumänischen Wortes näher als die des deutschen Wortes.

Das sind jetzt aber keine wirkungsstrategischen Entscheidungen zur Gestaltung von Fremdheitseffekten, oder?

Eine meiner Erzählungen trägt den Titel »Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt«. Das ist eine aus dem Rumänischen übersetzte Redewendung, von der man im Rumänischen genau weiß, was sie bedeutet: Der Mensch ist ein Verlierer. Im Deutschen erschließt sich diese Bedeutung erst einmal nicht. Aber ich hatte in der Erzählung die Möglichkeit, die Redewendung so zu platzieren, dass der deutsche Leser ahnt, was gemeint ist. Fasane sind tapsig und finden sich nicht so gut zurecht. Die Rumänen haben dies als Ausgangspunkt für die Metapher genommen. Der Mensch ist ein Fasan, weil er sich nicht, weil er sein Leben nicht im Griff hat. Das ist der Unterschied zum deutschen Fasan, der eher ein Bild für Arroganz liefert. Darum ist mir der rumänische Fasan viel näher als der deutsche. Ich liebe den rumänischen Fasan, nicht den deutschen. So geht es mir mit vielen Wörtern. Und nicht nur mir, sondern wohl jedem, der in seinem Leben mehrere Stationen hinter sich gebracht hat, mehrere Auftenthaltspunkte, mehrere Orte in der Welt. Wenn ich ›Frankfurt‹ lese, finde ich dieses Wort jedes Mal aufs Neue großartig, denn ›Furt‹ heißt auf Rumänisch ›Diebstahl‹. Und dass nun ausgerechnet viele Banken in Frankfurt sind, das ist zwar ein Zufall, aber ein schöner Zufall. Zufall ist so schön.


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