Читать книгу TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller онлайн | страница 16
Es ist also ein Unterschied, ob man einen Text schreibt, egal ob mit Bleistift oder mit einem Kugelschreiber, oder ob man mit Schere und Kleber arbeitet?
Ja, das ist ein enormer Unterschied. Beim Collagieren ist das Papier wichtig, weil man kleben muss. Und Farben sind wichtig, weil sie zueinander passen müssen. Eine Collage inszeniert sich auch. Das ist einer der Gründe, weshalb ich heute so ›schreibe‹, neben einer ganzen Reihe von anderen Gründen. Die haben sich über die Jahre verändert, manche waren mir wichtig, als ich angefangen habe, andere sind mir mit der Zeit immer wichtiger geworden. Heute sind Aussehen und Inszenierung des Ganzen für mich ausschlaggebend, eine Collage muss schön sein, sie muss ›schwingen‹, sie darf nicht plump wirken, und Bild und Text müssen zueinander passen. Darauf achtete ich früher nicht so sehr, ich habe sowieso viel mehr aus dem Stegreif heraus gemacht. Wenn ich heute ein Wort habe, aber sein Aussehen gefällt mir nicht, dann bastle ich es mir neu zusammen. Das hätte ich früher nicht gemacht. Die Größe eines Wortausschnitts ist ebenfalls wichtig. Für mich gilt: Wenn etwas zu groß oder zu klein ist oder die Farbe nicht passt, dann mache ich es mir passend.
Was heißt, Sie machen es passend?
Ich klebe ein Wort aus einzelnen Buchstaben zusammen. Dafür muss ich auf das Papier achten. Wenn man schon die Fugen zwischen den Buchstaben sieht, dann müssen diese zumindest schön aussehen, und das geht nicht ohne gutes Papier. Also, hier achte ich auf das Material. Das ist so wie bei jedem Handwerk. Die Handarbeit, das ist überhaupt das Besondere an dieser Art von Schreiben, die Handarbeit. Ich habe mir das immer gewünscht, ich wollte ja nie Schriftstellerin sein, ich habe mir immer gewünscht, Friseurin zu werden oder Schneiderin, als Kind schon. Ich kompensiere, glaube ich, mit dem Collagieren, dass ich es nicht zur Friseurin gebracht habe.
Mit Studierenden habe ich vor Kurzem eine Collage aus Ihrem aktuellen Band »Im Heimweh ist ein blauer Saal« betrachtet. Der Text der Collage lautet: »Angst beruht auf Angst bis es weh tut, man passt sich an wie die Kröten ans Gras seit alle schweigen, hört man mitten am Tag in der Stadt die Wolken steigen.« Im Vorfeld habe ich den Studierenden von Ihrem Leben in Rumänien erzählt, vom Leben in einer Diktatur. Dennoch hat sich kein einziger der Studierenden in einer Wortmeldung auf diese Zeit in Rumänien bezogen. Aktuelles wurde angesprochen, ein chinesischer Student hat die Collage auf seine Situation in China bezogen, eine andere Studentin auf Ungarn.