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1. Kapitel
Die Stadt lag im Dunkeln. Ich lehnte den Kopf gegen das Fenster, und der schmutzige Regen rann über meine Stirn. In der spiegelnden Scheibe sah ich aus wie ein Gespenst, hager und fahl, meine Augen glichen denen meines Vaters. Ich konnte nur flüstern: Gott, bitte vergib mir. Ich habe viel zu bereuen …
Factory Town. Es schien, als hätte man begonnen, die ganze Stadt, Haus für Haus und Mauer für Mauer, abzureißen, dann aber beschlossen, dass es die Mühe nicht wert war und man sie einfach verrotten lassen sollte. Überall bröckelnder Beton, kaputte Zäune, zerbrochene Scheiben, zerschlagene Möbel. Verfallende Backsteingebäude, mit Graffiti beschmiert und die Fenster mit Brettern vernagelt. Die Uhr einer Bank ohne Zeiger. Umgekippte Mülltonnen. Auf den Boden gestürzte Feuerleitern. Überall Schutt. Eine geplünderte, verwahrloste Kirche. Und von irgendwoher das Hallen einer Lachkonserve. Ich hatte einmal gehört, dass die meisten Lachkonserven vor vierzig, fünfzig Jahren produziert worden waren, also musste es das Lachen von Toten sein.
Ein lautes Krachen erschreckte mich. Ich fuhr herum und sah eine ausgemergelte Frauengestalt aus einem Hauseingang treten. Sie trug ein zerrissenes Männerhemd, einen zerschlissenen Jeansrock und pinke Cowboystiefel. Ihre gebleichten Haare waren kurz geschnitten und struppig, und zwischen ihren lila Lippen hing eine krumme Zigarette. Ihr Gang war leicht hinkend. Sie war irgendwas zwischen zwanzig und fünfzig, aber Gesicht und Gestalt hatten auf alle Fälle schon bessere Tage gesehen. Als sie mich bemerkte, verzog sie verächtlich das Gesicht und sagte: Ich kenn dich. Du bist der Typ, von dem alle reden.
Ich schüttelte den Kopf. Da täuscht du dich, sagte ich. Ich bin grad erst in die Stadt gekommen.
Nee, ich täusch mich nicht. Du bist es. Und, hast du auch ’nen Namen?
Russell Carver. Aber du musst mich mit jemand verwechseln.
Tja, kann sein. Vielleicht. Aber egal. Davon abgesehen bist du ja ganz niedlich. Wie wär’s denn mit uns zwei?
Weil ich nicht wusste, was ich antworten sollte, sagte ich nichts. Sie grinste abschätzig, räusperte sich und spuckte auf den Boden. Dann ging sie weiter. Einsam und verwirrt, wie ich war, folgte ich ihr.