Читать книгу Bittersüß - davor & danach 2 онлайн | страница 7

Ich darf nicht an ihn denken. Nicht hier. Nicht bei der Arbeit. Wie oft am Tag muss ich mich denn noch daran erinnern? Dennoch gelingt es mir nicht, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Der bittere Schmerz der Enttäuschung erinnert mich ebenso an ihn und an alles, was zwischen uns passiert ist, wie die brennende Sehnsucht. Nachts ist es am schlimmsten, wenn ich wach werde und schwören könnte, ich fühle seine Arme um mich oder noch schlimmer, wenn ich für einen ganz kurzen wirren Moment glaube, ihn in mir zu spüren. Jedes Mal, wenn mir klar wird, dass es nur Einbildung ist oder einfach ein sehr realistischer Traum, könnte ich vor Wut und Enttäuschung zerspringen.

Ist Berlin ein gewaltiger Fehler? Oder war der wirkliche Fehler, je wieder etwas mit ihm anzufangen? Ich versuche, mich wieder auf den Gast vor mir zu konzentrieren.

Der Geschäftsmann liest sich in Ruhe das Spezialangebot des Hotels durch und blickt dabei ab und zu lächelnd zu mir auf. Zaghaft erwidere ich sein Lächeln, obwohl es ganz anders in mir aussieht und ich nicht will, dass er oder irgendjemand sonst es bemerkt.

Wie leicht wäre es, wenn ich mich in jemand anderes verlieben könnte? Wie leicht wäre es, wenn nicht jede Faser meiner Seele und meines Körpers nach Jan verlangen würde? Wütend darüber presse ich die Ledermappe an meiner Brust fester an mich und lächle noch breiter. Es hilft nur nicht.

„Das sieht alles sehr gut aus. Aber ich nehme mir lieber alle Angebote aufs Zimmer mit und sage Ihnen später Bescheid.“

„Natürlich. Sie können sich jederzeit an mich oder an die Rezeption wenden.“ Unauffällig gebe ich einem der Pagen ein Zeichen, damit er sich um sein Gepäck kümmert. Das Personal ist schnell und unaufdringlich, perfekter Service wie immer. Zufrieden sehe ich dabei zu, wie beide in den Aufzug nach oben verschwinden. Wenigstens hier im Hotel habe ich alles im Griff, wenn schon sonst in meinem Leben nur Ungewissheit und Chaos herrschen.

Heute ist einer dieser ruhigen Tage, die ich hasse. Sie lassen mir viel zu viel Zeit zum Nachdenken. An den wenigen Tagen, die ich bisher nicht arbeiten musste, konnte ich mich gut ablenken. Die erste Zeit nach meiner Ankunft habe ich hier im Hotel gewohnt, was freie Stunden zu einem nicht existierenden Zustand machte. Doch irgendwann musste ich mir eine Bleibe suchen. Leider verhält es sich mit den Mietpreisen in Berlin ähnlich wie mit den Mietpreisen in Wien. Sie sind völlig übertrieben. Vor allem dann, wenn man in einem Hotel arbeitet, das in der Schönhauser Allee liegt, und nach einer Wohnung sucht, die nicht zu weit weg und öffentlich gut erreichbar ist. Für mich bedeutete das, ich brauchte eine Wohnung in Prenzlauer Berg, einem heiß umkämpften Wohnungsmarkt. Gar nicht so einfach, wenn man sein Geld beisammenhalten will. Ich hatte Glück. Über eine spezielle Internetseite fand ich eine junge Wienerin, die ebenfalls für ein paar Monate in Berlin lebt und nach einer Frau suchte, die sich die Mietkosten für eine kleine Wohnung in der Kastanienallee mit ihr teilen wollte. Wir haben uns getroffen und gleich danach hat sie mir die Wohnung gezeigt. Ich fand Mitbewohnerin und Wohnung überzeugend und wir wurden uns schnell einig. Also lebe ich seit sechs Wochen mit Cami, einer fünfundzwanzigjährigen Grafikdesignerin, zusammen. Aus derselben Stadt zu kommen, hat gleich eine Brücke geschlagen, und wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass wir auch Freundinnen werden könnten. Irgendwie sind wir das auch schon, auch wenn ich nicht sehr viel Zeit für unsere neue Freundschaft aufbringen kann. Cami nimmt sich hier in Berlin eine Auszeit. Sie hatte im letzten Jahr Jobprobleme und hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich um ein Kultur-Ferialpraktikum auf der Museumsinsel beworben. Mit ein paar Gelegenheitsjobs als Grafikerin hält sie sich in der Zwischenzeit über Wasser und bringt so ihren Teil der Miete auf. Ich bin froh, dass ich sie habe. Denn als mich Heimweh und Herzschmerz erst richtig gepackt haben, und Sascha, mein bester Freund, zu weit weg gewesen ist, war es Cami, die mich immer wieder daran erinnert hat, dass ich aus einem guten Grund in Berlin bin. Ich will eine Chance haben, zu Hause im Hotel No.1 Wien, meinem Hotel, Managerin zu werden. Und dafür brauche ich die Zeit in Berlin. Dafür habe ich einiges geopfert und mein Herz aufs Spiel gesetzt. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, könnte ich es bereits verloren haben. Zumindest sieht es so aus.


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