Читать книгу Das Tagebuch der Jenna Blue онлайн | страница 12

Sorgsam schließe ich die Tür und lehne die Stirn ans Holz. Aus der Küche dringt Scarletts Lachen und Annas Stimme. Sie sprechen über die Party, das Essen, die Ferien. Unverfängliche Themen. Über Papa reden sie nie. Vielleicht fehlen ihnen die Worte. Vielleicht glauben sie, es sei besser, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Wer lange genug eine Lüge lebt, hält sie irgendwann für die Wahrheit.

Ich fahre mit der Hand über die Blümchentapete unseres Flurs. An den Ecken blättert sie bereits ab, offenbart den grauen Putz darunter. Mutter hat sie ausgesucht. Alles hier trägt ihre Spuren: das Muster von Papas Sessel, die bunten Gemälde, die gestrichenen Stühle des Esszimmers, der Teich in der Badewanne. Ich erinnere mich nur flüchtig und unfreiwillig an sie; hier ein Bild, dort ein Fetzen. Wie sie den ersten Fisch in die Wanne setzte, wo er noch heute zwischen Sumpfgräsern und Lotusblumen golden hervorschimmert. Scarlett auf der Schaukel im Wohnzimmer, Mutter hinter ihr in einem bunten Kleid. Anna im Garten, auf der Wange einen leuchtenden Handabdruck und zu ihren Füßen ein zertretener Wildkräuterstrauß. Ich erinnere mich an Mutters Schreie, nicht jedoch an den Grund des Streits.

Nie wieder! Tu das nie wieder!

Ich umfasse das gedrechselte Treppengeländer. Meine Finger finden eine jede Kerbe blind. Dieses Haus liegt mir im Blut, mit all seinen schimmeligen Ecken und knarrenden Dielen. Es konserviert unsere Erinnerungen wie in Formaldehyd. Das Leben, das wir einst hatten, spiegelt sich in jedem Zentimeter. Die Striche an der Wand im oberen Stockwerk, mit denen wir unsere Größe festhielten.

Anna. Jenna. Scarlett.

Daneben der Elefant, den ich unbeholfen an die Wand malte, als niemand hinsah. Er erinnert mehr an einen Hasen mit zu langer Nase. Ich zeichne die blassen Linien nach, frage mich, ob sie verschwänden, sollte ich sie oft genug nachfahren, und fürchte zugleich, dass es geschieht.

Der Gedanke ist unerträglich.

Genauso der an die Zukunft. Ich bilde mir ein, die Jahre verfliegen zu sehen; mich selbst mit Koffern nach unserem Abschluss, kurz darauf Papa in einem Sarg; ihm folgt Anna, treu bis zum Schluss. Das Haus steht eine Weile leer, der Winter kommt, der Winter geht, ehe Maler all unsere Spuren von den Wänden tilgen, den Elefanten unter weißer Farbe begraben und mit ihm unsere Kindheit.


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