Читать книгу Die vergessenen Helden von Tschernobyl онлайн | страница 7
Wadim und Anna hatten beide Englisch in der Schule gelernt und in diesem Moment zahlte sich das nun aus.
Leider wussten die Briten und die westlichen Behörden zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr um die Gründe und Auswirkungen des Atomunfalls. Sie erfuhren nur, dass dieser Unfall mittlerweile als Super-GAU eingestuft wurde, also als Größter Anzunehmender Unfall.
Wadim ließ sich die Nachricht von der Evakuierung Prybjats nochmal durch den Kopf gehen und schüttelte auf einmal unvermittelt den Kopf.
„Was ist los?“, fragte Anna.
„Ich habe mir gerade nochmal vorgestellt, was es heißt, eine Stadt wie Prybjat zu evakuieren. Dort wohnen knapp 50.000 Menschen. Wenn die alle auf einmal evakuiert werden, benötigt man 1.000 Busse. Das ist Wahnsinn!“
Anna begriff nun auch, dass die Lage dort wohl mehr als ernst war. Und Prybjat war nur etwa 50 km entfernt.
Wadim und Anna waren auch gespannt, wie die russischen Behörden mit den bevorstehenden Feierlichkeiten zum 1. Mai umgehen würden, welcher in sozialistischen Ländern ein hoher Feiertag war mit öffentlichen Paraden, an denen auch fröhliche Kindergruppen teilnahmen. Würden sie den Mut haben und alle Paraden im betroffenen Gebiet absagen? Oder würden sie, was Wadim und Anna für wahrscheinlicher hielten, alle schlimmen Nachrichten um Tschernobyl bis dahin unterdrücken und so tun, als wäre nichts passiert.
Wadim und Anna hatten gehofft, dass mit der unter Präsident Gorbatschow gepriesenen Formel von „Glasnost“, was für Offenheit stand, sich auch etwas ändern würde hinsichtlich negativer Meldungen wie in diesem Falle. Aber offensichtlich war dies wohl nur ein Lippenbekenntnis. Wadim wusste, dass die Menschen unter einem anderen Präsidenten dennoch die gleichen waren und sich ihr Denken wohl so schnell auch nicht ändern würde. Insbesondere Schuldeingeständnisse waren im Sozialismus nach wie vor ein sogenanntes „No-Go“. Es war deshalb auch zu bezweifeln, dass bei Gorbatschow die ganze Wahrheit über den AKW-Unfall angekommen war.
Wadims und Annas Entschluss stand jedenfalls fest. Sie würden nicht zur Parade gehen und auch Marusha würde bei der Parade nicht mitmachen. Sie wollten ihre Aktivitäten unter freiem Himmel, sofern das möglich war, in den nächsten Tagen auf ein Minimum beschränken. Zumindest solange, bis es Klarheit gab, dass keine Gefahr für die Kiewer Bevölkerung bestand. Und diese Nachricht musste von ausländischen Behörden bestätigt werden.